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Drucken 16-07-2023 | Theken-Themen

Wie schlecht geht es Deutschland wirklich?


Bundeskanzler Olaf Scholz verabschiedete sich gutgelaunt in den Urlaub. Alles sei auf gutem Weg. Man hätte viel geleistet und erreicht.

Ja - Ist das so?

Oder sehen die Verantwortlichen in der Politik die Dinge nur deshalb noch rosig, weil sie einer gravierenden Fehleinschätzung erlegen sind? Unser Potenzial unter dem Eindruck vergangenen Erfolgs überschätzen und die Fortschritte der internationalen Wettbewerber im globalen Wettbewerb noch unterschätzen?

Richtig ist, dass Deutschland in der Regierungszeit Merkel in vielfacher Hinsicht erfolgreich war, diesen Erfolg aber leider nicht in Gestaltungskraft ummünzen konnte. Weder wurden Strategien entwickelt, die beginndende Völkerwanderung aus fast allen Himmelsrichtungen nach Europa in geordnete Bahnen zu lenken, noch gab es Ansätze, das rasch wachsende Im- und Exportgeschäft mit China und Russland in demokratie-kompatible und völkerverständigende Rahmenbedingungen zu lenken.

"Wir machen gute Geschäfte miteinander-also ist Alles gut!?"

Leider NEIN!

Und zwar nicht nur in unserem Verhältnis nach aussen, sondern auch im Inneren.

Der gravierendste Fehler wird uns erst noch richtig auf die Füße fallen: die heutigen und künftigen Anforderungen an den Staat werden nicht mehr finanzierbar sein:

weil kurz- und langfristige Folgen des Krieges in der Ukraine weit mehr Geld kosten, als wir bereit sein werden aufzubringen,

weil weiterhin steigende Lasten als direkte und indirekte Folgen illegaler Zuwanderung finanziert werden müssen,

weil die seit der Jahrtausendwende erkannten Investitionen in überalterte Infrastrukturen nicht angegangen wurden,

weil der Ballast eines effizienzverhindernden Föderalismus nicht geringer, sondern beschwerlicher wird,

weil die Beharrungskräfte, die in den staatlichen Strukturen und der Wirtschaft jeden Reformversuch verhindern (Festhalten am bisherigen Status auf allen Wertschöpfungsebenen) unüberwindlich erscheinen.

Was mich als Oekonom besonders sorgenvoll stimmt ist die Tatsache, dass wir uns bei allen Reformbestrebungen selbst im Wege stehen. Auch wenn wir Investitionen als richtig und notwendig erkennen, können wir sie nicht umsetzen, weil immer und zu allen Themen zu viele Menschen und Institutionen ihre Interessen negativ berührt sehen und sich generell gegen Veränderungen stellen.
Dass der Staat eine von der EZB über Jahre hinweg außergewöhnlich günstige Finanzierung von Infrastrukturinvestitionen zu 0% nicht nutzte, ist ein eindrucksvoller Beleg mangelnder Zukunftsfähigkeit. Sicher spielt dabei auch eine Rolle, dass man der Politik offensichtlich nicht mehr zutraut, dass sie kompetent und in der Lage ist, Veränderungen umfassend und system-übergreifend zu planen, zu moderieren, zu organisieren und - ja auch das gehört dazu - zu führen. Dieser MIX aus erwiesener Inkompetenz, planerischem Unvermögen und mangelndem Vertrauen führt eben dazu, dass die Politik sich selbst nichts mehr zutraut und zu Nebenkriegsschauplätzen ablenkt.

Beispiel: Die Krankenhausreform wird als großer Wurf gefeiert, ohne gleichzeitig das Gesamtsystem der Öffentlichen Gesundheitsvorsorge zu verändern. Nur eine grundsätzliche Reform des Gesundheitswesen entscheidet über ihre Fähigkeit einer dauerhaften Finanzierbarkeit.

Dazu sind 3 Säulen zu nennen:
1. Einheitliches staatliches Krankenversicherungssystem, das eine Basisleistung für alle Bürgerinnen und Bürger sicherstellt. Die heutige Beamtenregelung wird mit jedem neuen Beamtenverhältnis abgeschafft. Die PKV kann über die Basisleistungen hinausgehende Zusatzleistungen anbieten.
2. Zusammenlegung der privaten und gesetzlichen Krankenversicherungen mit der Zielsetzung der Schaffung max möglicher Kosteneinsparungen einerseits und Beendigung der Abschöpfung der Kapitalanlagen der PKV über eine akzeptable, d.h. ausreichende aber begrenzte Kapitalanlagenhöhe hinaus andererseits.
3. Da das Gesundheitswesen auch Ausdruck staatlicher Leistungsfähigkeit gegenüber der Öffentlichkeit ist und diese sich in der Standort-Dislozierung zeigt, ist den Ländern ein Mitspracherecht bei der Entwicklung der Standorte einzuräumen. Dies begründet gleichzeitig eine Mitfinanzierungsverpflichtung der Länder. (Kommunen eingeschränkt ab X Einwohnerzahl)

Wer sich als politisch Verantwortlicher diesen Aufgaben nicht in der notwendigen Systembreite stellt, sollte keine Entscheidungsgewalt in dieser Dimension erhalten.

Wenn Kanzler Scholz glaubt, dass wir schon viel geschafft hätten, dann enthalten solche Statements wenig Hoffnungsvolles. Denn es zeugt davon, dass die gesamte Tragweite der Versäumnisse möglicherweise noch garnicht erkannt ist.

Nun ist die Ampel noch keine 2 Jahre in der Verantwortung. Gleichzeitig nehmen die Herausforderungen in ihrer Komplexität deutlich zu.

Zudem kann man die "Scholz'sche Zögerlichkeit" in der Ertüchtigung der Ukraine auch als Ausdruck der Vorsicht und damit im Interesse unseres Landes werten.

Insofern entlasse ich persönlich den Bundeskanzler heute noch gern in seinen verdienten Urlaub.

Kommentar Dipl.-Betriebswirt Rainer Willing