gastronomie.de - make life taste better

Drucken 17-05-2019 | Lieferdienste

Steigt Amazon in den Markt der Essenslieferdienste ein?

Kerken, den 17.05.2019 - Die Frage ist berechtigt, nachdem Amazon  sich beim britischen Lieferdienst Deliveroo mit 575 Mio USD beteiligt hat. 

Gerade erst (2018) hatte sich Deliveroo aus einigen deutschen Großstädten zurückgezogen. Insgesamt haben Investoren jetzt 1,53 Mrd USD in Deliveroo investiert und schon glaubt man bei Deliveroo daran mit frischem Geld die aufgegebenen Großstädte wieder zu besetzen. 

Schiere Größe als strategische Wegweisung? Und welche Pläne hat Amazon bei einem Investment in 60.000 Fahrrad-Kuriere? Nur zum Spass legt auch Amazon keine 575 Mio USD auf den Spieltisch. Bildung und Steuerung von logistischen Netzwerken könnte ein Aspekt sein, dem man sich noch intensiver widmen will.

Logistik wird in Zukunft noch viel mehr als heute in allen Ballungsräumen zur Key-Kompetenz, wenn es darum geht Waren unter verschärften Kosten- und Umweltbedingungen von A nach B zu transportieren und sich dabei der maximal möglichen Synergien aus kombinierten (=optimierten) Verkehren zu bedienen.

Amazon will als System-Führer die Strukturen und damit die Wertschöpfungs- und Risikoverteilung in der Hand haben. Wie man aus dem Verhältnis von Amazon zu seinen Verkäufer-Partnern heute bereits unschwer erkennen kann, funktionieren solche Systeme durch Schaffung von Druck über wirtschaftliche Abhängigkeiten. Wer sich als Verkäufer in diese Abhängigkeit begibt, muss große Taschen in der Hose haben, um darin die Fäuste ballen zu können.

Müssen wir nun die Frage nach der Nachhaltigkeit des Geschäftsmodell "Essenslieferdienst" anders beantworten? 

Hier handelt es sich um eine Dienstleistung in einem wachsenden Markt. Insbesondere die Gastronomie muss sich dieser Herausforderung stellen und entscheiden, ob man mit seiner Restaurantleistung auch einen Lieferservice anbieten will. Diese Frage beantwortet eine gehobene Küche sicher anders, als ein Pizza-Restaurant. Und wenn dies so ist, dann muss man die Frage nach der Nachhaltigkeit des Essenslieferdienstes ohne Einschränkung mit ja beantworten.

Dann aber fangen schon die Differenzierungen an. Auf dem Land bietet sich die Organisation eines eigenen Lieferdienstes durch ein Restaurant vor Ort an. Durchaus von Vorteil ist in einem solchen Fall die gleichzeitige Präsenz auf den Plattformen der Essenslieferdienste für sein selbstbestimmtes Liefergebiet

In Ballungsräumen ist diese Frage in Abhängigkeit von der eigenen Angebotsstrategie, dem eigenen Standort und der unmittelbaren Wettbewerbssituation zu prüfen. Dabei ist grundsätzlich zu beachten, dass man eine von der Konkurrenz nach Hause gelieferte Mahlzeit nicht mehr einem Gast auftischen kann. Wer also in seinem Restaurant über nicht hinreichend genutzte Küchen-Kapazitäten verfügt und gegenüber der unmittelbaren Konkurrenz einen ungünstigeren Standort hat, sollte einen Lieferservice durchaus in Erwägung ziehen. Soweit zum einzelnen Anbieter.

Wenn man die zweifellos wachsende Nachfrage des Marktes nach der Dienstleistung "Essenslieferdienst" positiv sieht, gilt dies nicht gleichzeitig als Erfolgsgarantie für einen Plattform-Anbieter in diesem Markt. Zu schnelles Wachstum mit der Folge hoher Kosten durch Reibungsverluste, fehlendes Controlling, mangelhafte Ausbildung der Mitarbeiter, Führungsfehler und lückenhafte Organisation u.a. können in margenschwachen Märkten sehr schnell die Existenz kosten. Wenn sich Amazon mit 575 Mio USD an Deliveroo beteiligt, dann läßt man sich damit quasi in die Pflicht nehmen.

Für den einzelnen Restaurantbetrieb bedeutet das nicht, den Entwicklungen in diesem Markt taten- und hilflos zuzusehen. Immerhin haben die Gastronomen auch die Möglichkeit sich selbst zu formieren und einen nationalen Lieferservice über eine eigene Plattform aufzubauen. Dazu gründet man eine Kooperation als Gemeinschaftsunternehmen. Der Genossenschaftsgedanke ist keineswegs obsolet. Im Gegenteil: Kooperation ist heute und in Zukunft für den Mittelstand die einzige Chance, sich gegen die kapitalgestützten Massenanbieter zu wehren.
(Kommentar von R.Willing)