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Drucken 08-11-2020 | Getränke-Informationen

Ein Kommentar zum Flaschenpost-Deal

Kerken, den 08.Nov 2020.
Das herausragende Ereignis der vergangenen Woche war zweifellos die Übernahme von Flaschenpost durch die Radeberger Gruppe, die Getränkesparte des Oetker Konzerns. Die Zusammenführung mit Durstexpress ist erklärtes, aber auch natürliches Ziel.
Der angebliche und nicht bestätigte Preis dieser vom Kartellamt noch zu genehmigenden Übernahme soll 1 Mrd EUR betragen. Sicherlich zu hoch gegriffen, aber selbst 600 Mio wären ein stolzer Preis für das junge Start-Up mit zentralem Sitz in Münster. Aus 23 Standorten mit Schwerpunkt NRW sollen mit ca 7.000 Mitarbeitern ein Jahresumsatz von 300 Mio EUR p.a. 2020 erzielt werden. Beachtlich ist das Tempo, mit dem der Flaschenpost-CEO Stephen Weich, die Multiplikation der Standorte vorangetrieben hat.
Die Pandemie, die zu einem Boom für Lieferservices geführt hat, war sicher auch ein Grund, um sich als Radeberger Gruppe gerade jetzt zu solch einem für die Getränkebranche spektakulären Deal hinreissen zu lassen. Die längerfristigen betriebswirtschaftlichen Fragen und die Bewertung von alternativen Wachstumsstrategien in diesem Marktsegment werden sicher nicht ausbleiben.

Für Geschäftsmodelle mit disruptivem Potenzial und hohem Wachstumstempo werden heutzutage Kaufsummen aufgerufen, die mit klassisch-konservativen Bewertungsmodellen nicht zu quantifizieren sind. Delivery Hero ist ein markantes Beispiel dafür. 2016 erzielte dieses kürzlich in den DAX aufgestiegene Home-Delivery-Unternehmen einen Umsatz von ca 300 Mio EUR und generierte damit einen Verlust von rund 200 Mio EUR. 2019 betrug der Umsatz 1,24 Mrd EUR und der Verlust 700 Mio EUR. Die Börse bewertete Delivery Hero vergangene Woche mit 22 Mrd EUR. Diese Bewertung ist aus Sicht eines Branchenkenners völlig unrealistisch und stützt sich einzig und allein auf der vagen Hoffnung, dass irgendwann Gewinne erzielt werden.
Fazit: der Kaufpreis ist eine Sache. Eine andere Sache ist, was man daraus macht und wie man es macht.
(Ein Kommentar von Dipl.-Betriebswirt Rainer Willing, 1983 bis 1993 CEO der Getränkefachgroßhandels-Kooperation GEVA)