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Drucken 19-01-2022 | Markt & Trend

Gift-Cocktail Zinsen und Inflation

Zur Beurteilung der Weltwirtschaftslage und ihrer künftigen Entwicklung sind die Gesetze der klassischen Ökonomie nur noch eingeschränkt hilfreich. Aktuell wird von den Volkswirten die weitere Entwicklung der Inflation unterschiedlich beurteilt.Viele sagen voraus, was sie gern hätten. Positive Vorhersagen wie etwa: "dieses Jahr noch werden wir einen Rückgang des Preisniveaus erleben" sind allenfalls geeignet, die Gemüter der Einkommensschwachen zu beruhigen. 

Wir haben in Europa die im Grunde neue Situation, dass sich die Inflation der Preise in einem quasi zinslosen Umfeld abspielt. Die EZB ist in der fast identischen Situation wie die US-Zentralbank Fed. Um Anreize für Investitionen durch die Wirtschaft und Ausgaben durch Verbraucher zu schaffen, wurde der Leitzins nach dem Finanzcrash 2008 gegen Null heruntergefahren. Noch konsequenter machte dies die EZB durch "Super-Mario" Draghi.

Die Inflation zwingt jetzt beide Zentralbanken Ihr Leitzinsniveau zu überdenken. Ob die Leitzinsen wirklich angehoben werden müssen, ist längst nicht ausgemacht. Denn die Gesetzmäßigkeiten der klassischen Ökonomie treffen auf ein völlig anderes Umfeld von Marktbedingungen, als in der Vergangenheit. Allein die Globalisierung und weltweite Vernetzung der Güter- und Finanzströme bescheren den Entscheidern in den Unternehmen komplexere Möglichkeiten der Finanzierung. In diesem globalisierten Umfeld richten sich die Investitionsentscheidungen der Unternehmen mehr nach den Perspektiven ihrer Absatzmärkte als nach den Finanzierungsbedingungen. Darüberhinaus ist global ohnehin mehr Kapital vorhanden als benötigt wird. Da wären Investitionen der Öffentlichen Hand in die marode Infrastruktur und in neue Rationalisierungstechniken (Digitalisierung) wichtiger. Dass die Regierungen in der EU diese Chance nutzen, war das Kalkül der EZB. Warum dieses Kalkül nicht aufging, deckte die Corona-Pandemie schmerzhaft auf: es sind schlichtweg keine Kapazitäten vorhanden, die verfügbaren Gelder sinnvoll einzusetzen, weder in der Öffentlichen Hand, noch in der Wirtschaft. Stichwort: fehlendes Fachpersonal.

Für die Anleihemärkte und den Finanzierungsbedarf der Öffentlichen Hände hat der Leitzins nach wie vor eine hohe Bedeutung. 

Wir stehen also vor der schwierigen Situation die Verteuerung der Lebenshaltung und die Verteuerung der Finanzierung stemmen zu müssen. Da erscheint es grundsätzlich richtig zu sein, die Leitzinsen eben nicht bzw zeitlich gestreckt und moderat anzuheben. 

Ob dies die Fed ähnlich sieht, davon ist nicht auszugehen. Es wäre eine völlig neue Zinspolitik der Fed. Dann wird die EZB darauf achten müssen, dass USD gegen den EURO nicht durch die Decke geht, was einen zusätzlichen Preisschub für den EURO-Raum bedeuten würde und insbesondere Preise für Öl- und Benzin-Produkte zusätzlich anheizt.

Die kurz- und mittelfristigen Aussichten für eine Beruhigung der Inflation im Euroraum sind also nicht gut. 

Was aktuell ebenfalls eine preistreibende Wirkung hat, sind die Folgen des weltweiten pandemiebedingten Lockdown. 
Betriebs- und Volkswirte kennen das Phänomen der Remanenz der Kosten im Unternehmen: bei steigender Beschäftigung wird Personal eingestellt. Wenn die Beschäftigung wieder fällt, wird das Personal nicht adhoc freigesetzt, sondern "verharrt" im Unternehmen. So ähnlich verhält es sich mit den Kostenstrukturen in der Phase der Pandemie und den Folgejahren. Über viele Jahre wurden in allen Bereichen der Wirtschaft das Input-Output-Verhältnis auf Effizienz getrimmt und Reserven abgebaut. Just-in-Time war das Zauberwort nicht nur in Wolfsburg, als der Chefeinkäufer von VW Lopez die Zulieferer zwang, die Bauteile genau dann in der erforderlichen Menge und Qualität ans Band zu liefern, wenn ihre Montage anstand. Dieses Erfolgsmodell machte in der gesamten Wirtschaft Schule. Wenn man aus solch einer optimierten Lage einen Lockdown hinnehmen muss, dann ist die Optimerung entlang der gesamten Produktions- und Lieferkette nachhaltig zerstört. Man kann sich leicht vorstellen, dass die Wiedererlangung der optimierten Lieferkette ein Vielfaches länger dauern wird, als die Pandemie anhält. Auch dieser Umstand macht sich in den Preisen für die Verbraucher bemerkbar.

Die Politik ist gut beraten, wenn sie sich frühzeitig auf diese Situation einstellt: die zu erwartenden Belastungen für die Bevölkerung abfedern; eigene Kostenstrukturen auf den Prüfstand stellen, Synergien ausmachen und diese heben;
das günstige Zinsumfeld nutzen und Investitionen in die Infrastruktur forcieren, dazu notfalls Personal aus anderen Ländern anwerben.

(Redaktion gastronomie.de, Dipl.-Betrw. Rainer Willing)

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