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Drucken 02-05-2021 | Pandemie

Wir ziehen eine erste Pandemie-Bilanz: umfassendes Versagen der Politik

Kerken, im Mai 2021 - Nach 14 Monaten Pandemie-Erfahrung ziehen wir eine erste Bilanz von Stolz und Dankbarkeit für das große Engagement von Ärzten, Pflegekräften, Impfstoffentwicklern und Hilfsdiensten auf kommunaler Ebene. 
Dagegen steht eine deprimierende Erkenntnis von Führungsversagen auf politischer Ebene des Bundes und der Bundesländer. 
Folgende Defizite wurden erkannt (keine vollständige Auflistung):

1. Mangelhafte Informationsbeschaffung: Unstrittig ist, dass die Qualität von Entscheidungen nur so gut sein kann, wie die ihr zugrundeliegenden Informationen es sind. Dass Kanzleramt und Ministerpräsidenten:innen auf Informationen aus der Kommunikation mit Handels- und Gastronomieverbänden verzichteten und sich auch noch mit nicht aktuellen Fallzahlen der Gesundheitsämter zufrieden gaben, ist unverständlich. Der Fauxpas des Oster-Lockdowns belegt anschaulich, wie wertlos politische Entscheidungen als Ergebnis aus der "Black-Box" sind.

Der Gesundheitsminister hat sich als Kommentator des Infektionsgeschehens bemerkbar gemacht. 
Kraftvolle Eigeninitiative: Fehlanzeige

2. Fahrlässiges Zuwarten: Dass die Sommerperiode 2020 nicht genutzt wurde, um flächendeckend in Deutschland Schulen und andere stark frequentierte Gebäude und Einrichtungen mit Luft-Filteranlagen auszustatten, ist ein Totalversagen der Verantwortlichen in den zuständigen Ministerien des Inneren, der Gesundheit auf Bundes- und Landesebene. Mit solchen Vorwürfen konfrontiert verweisen Politiker häufig darauf, dass die Gelder zur Verfügung gestanden hätten, aber nicht abgerufen worden seien. Das ist eine billige Ausrede, die zeigt, wie einfach es sich unsere Volksvertreter machen, wo es gilt die Ärmel hochzukrämpeln. Es reicht einfach nicht Geld zur Verfügung zu stellen. Es muss gleichzeitig ein Plan zur Realisierung an die Hand gegeben werden. Wie sonst sollen Schulen und Kommunen ihre Einrichtungen ausstatten, wenn nicht bekannt ist, welche Firmen optimale Geräte in individuellen Gebäudesituationen einbauen können. Es bleibt den politischen Entscheidern einfach nicht erspart für solche Aufgabenstellungen eine zentrale Planungsgruppe ins Leben zu rufen, die mit den Fachleuten aus Technik und Handwerk einen konkreten Handlungsrahmen festlegen, der dann im Land abzuarbeiten ist.
Das Gleiche gilt für die Digitalisierung der Schulen.

3. Dass die Überbrückungshilfen für die staatlich verordneten Geschäftsschließungen nicht unmittelbar zu Auszahlungen führten ist ein Versäumnis des Wirtschaftsministers Altmaier. Dieser musste davon ausgehen, dass es bei der Soforthilfe im April 2020 nicht bleiben wird. Er hatte im Sommer 2020 genügend Zeit, um die notwendige Online-Abwicklung hierfür programmieren und testen zu lassen. Unentschuldbar dabei ist, die örtlichen Finanzämter in die Prüfungen der Antragsteller nicht einbezogen zu haben. Dagegen erwies sich die Abwicklung der Hilfsanträge über Steuerberater als Flaschenhals.

4. Ab Januar 2021 war klar, dass das Coronavirus durch Mutationen zusätzliche Herausforderungen mit sich bringen würde. Zusätzliche Test-Strategien auf diese Mutationen wurden u.a. aus Kapazitäts- und Kostengründen zunächst nicht unternommen. Das begünstigte den Mutationen eine ungehemmte Verbreitung.

5. In den Dienstleistungsbranchen Hotellerie und Gastronomie haben Unternehmen und Verbände der Politik mehrfach praxisnahe Tests angeboten mit dem Ziel, geplante und kontrollierte Öffnungsstrategien zu erarbeiten.  Es sind auf eigenes Risiko der Unternehmen Investitionen zur Sicherstellung der Kontaktvermeidung und Luftreinigung vorgenommen worden in der Hoffnung auf zeitnahe Wiederöffnung der Betriebe. Dass dies nicht einmal zur Kenntnis genommen wurde ist deprimierend. Wenn der Staat die Öffnung von Hotels unterbindet, aber gleichzeitig Demonstrationen ohne Maskenschutz und Abstandswahrung hinnimmt, dann versagt die Politik sogar den eidlich versicherten Schutz der Bürger:innen. 

6. Home-Office  In Zusammenhang mit der Diskussion zur Verschärfung der Lock-Down-Maßnahmen war vom Arbeitsminister die Vorbereitung zu einer entsprechenden gesetzlichen Vorschrift zu vernehmen. Diese "ministeriellen Schnellschüsse" sind keine Problemlösung, allenfalls ein zusätzliches Problem. Zum Home-Office kann es schon deshalb keine einheitliche Vorgehensweise geben, weil dies eine unternehmens-individuelle Entscheidung ist und bleiben muss. Sie berührt die Personalführung, die allein in der Kompetenz und Verantwortung der Unternehmen selbst liegt. So kann es sinnvoll sein, einzelne Abteilungen in das Home-Office zu lassen, während Abteilungen mit beispielsweise kreativen Aufgabenstellungen in ständiger Kommunikation untereinander bleiben müssen. 
Hier fehlt es jungen Politikern an Berufs- und Lebenserfahrung. Sie sollten in so jungen Jahren keine Regierungsverantwortung übernehmen müssen. 

Vorläufiges Fazit: die Strukturen der politischen Meinungsbildung, der föderalen Kompetenzen und Veranwortungen sind in keiner Weise geeignet, den sicher auch in Zukunft höheren Anforderungen an die politischen Entscheider angemessen und zum Wohl der Gesellschaft insgesamt zu begegnen.  Darüberhinaus muss die Politik ihre fachlichen und führungstechnischen Defizite stärker durch Einbeziehung von Fachgremien aus Wirtschaft, Kultur, Wissenschaft und Bürgerorganisationen in die Entscheidungsprozesse auszugleichen versuchen. 

Schließlich ist zu überlegen, ob die Bildung von politischen Führungseliten durch die Parteien noch zielführend ist. Die Einbeziehung von Eliten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Bürgerinitiativen in die politischen Entscheidungsprozesse erscheint dringend geboten. Auch ist zu überlegen, politische Führungsverantwortung von Alter, Erfahrung und Berufspraxis abhängig zu machen.

(Redakteur Dipl.-Betrw. Rainer Willing)